Warum wir gerade in Zeiten besonderer Herausforderungen nach Sicherheit und Struktur suchen
Vielen von uns bereitet die aktuelle Situation, die, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern, von vielen Einschränkungen geprägt ist, Unbehagen. Ungewohnt sind die Lebensabläufe in der aktuellen Situation. Wir sind plötzlich gezwungen unser Leben anders als noch vor ein paar Wochen zu führen; anders als wir es gewohnt sind; anders als wir es erlernt haben und anders, als wir es uns aufgebaut und erarbeitet haben.
Doch warum ist es für uns so schwer mit der Krise rund um COVID-19 und damit einhergehende persönliche Einschränkungen umzugehen? Warum sehen wir Verhaltensweisen anderer Personen, wie das Horten von Produkten des alltäglichen Lebens, als befremdlich und sind dennoch selbst dazu geneigt unsere Lager aufzufüllen?
Eine pauschal gültige Antwort darauf gibt es nicht. Diese Situation ist für alle neu und unbekannt. Eines ist jedoch klar: Sie bereitet uns Angst! Angst vor der Ungewissheit wie es weitergeht. Angst in unserem alltäglichen Tun eingeschränkt zu werden. Angst das gewohnte Leben nicht mehr so leben zu können wie bisher. Und Angst, dass jemand anderes darüber bestimmt, wie wir unser Leben zu gestalten haben. Wir haben Angst davor, die Kontrolle zu verlieren.
Kontrolle und Selbstbestimmung ist eines unserer Grundbedürfnisse, neben dem Wunsch nach Bindung und Zugehörigkeit, Selbstwerterhöhung, Lustgewinn und Unlustvermeidung. Wenn wir unsere Grundbedürfnisse bedroht sehen, greifen wir (oftmals auch unbewusst) zu nahezu allen Mitteln, um unsere Grundbedürfnisse zu stillen. In dem Fall ist das Bedürfnis nach Kontrolle und einem selbstbestimmten Handeln stark eingeschränkt und bedroht. Wenn wir nun übermäßig einkaufen und unsere Vorräte auffüllen, haben wir subjektiv das Gefühl wir können selbst bestimmen und auf die Situation aktiv Einfluss nehmen. Und wir vermeiden dadurch uns dem unangenehmen Gefühl der Angst und Unsicherheit zu widmen und bewusst wahrzunehmen.
Ähnlich sieht dies zum Beispiel mit Zwangserkrankungen aus. Jemand der unter einem Putzzwang leidet, putzt nicht primär so exzessiv aus dem Wunsch heraus für Reinlichkeit zu sorgen. Sondern er oder sie putzt, weil durch dieses Ritual das Gefühl „ich habe alles im Griff und unter Kontrolle“ erzeugt werden kann. Und weil durch eine monotone und zeitintensive Tätigkeit aufkommende Emotionen, für die uns die Strategien für einen erfolgreichen Umgang fehlen, unterdrückt werden. Wir haben schlichtweg „keine Zeit“ uns diesen Emotionen und somit den dahinterliegenden Bedürfnissen zu widmen. Das gibt Halt und Kontrolle und schützt uns – kurzfristig.
Da jedoch das Unterdrücken und Verdrängen von Emotionen vielmehr dazu führt, dass diese bestehen bleiben oder sich mit der Zeit gar noch verstärken, sollte man sich bewusst und aktiv mit der Situation des Kontrollverlustes und der Ungewissheit beschäftigen und lernen, damit umzugehen. Dafür gibt es einige Möglichkeiten, die jede und jeder selbst sofort umsetzen kann:
1. Akzeptieren & Achtsamkeit:
Akzeptieren Sie die Situation wie sie ist! Sie haben darauf nur bedingt Einfluss haben. Gerade in Zeiten in denen starke emotionale Schwankungen aufgrund von Unsicherheiten auftreten, ist es wichtig und notwendig anzunehmen und zu akzeptieren. Die Situation ist jetzt so, wie sie ist! Achten Sie auf Ihre Emotionen und was Sie Ihnen sagen wollen. Haben Sie Angst, weil die Ungewissheit so groß ist? Dann informieren Sie sich gut aus gesicherten und vertrauenswürdigen Quellen. Das gibt Sicherheit! Sind Sie wütend, weil Sie sich eingeschränkt fühlen in Ihrer persönlichen Freiheit? Dann tun Sie Dinge, die Sie erfüllen und Ihre Persönlichkeit stärken und mit derzeit vorhandenen Mitteln möglich sind. Verfolgen Sie Hobbys die sie vielleicht schon lange nicht mehr ausgeübt haben, lesen Sie, nehmen Sie sich bewusst Zeit für sich selbst und steuern Sie den Alltag wie es für Sie erfüllend ist. Ergreifen Sie all jene Projekte, für die Ihnen bisher die Zeit gefehlt hat. Und lenken Sie bewusst die Aufmerksamkeit auf Ihre Stärken, Potentiale und die positiven Aspekte des Lebens, ganz so wie es die positive Psychologie tut. So steigern Sie nicht nur die Lebenszufriedenheit, sondern beruhigt und ermöglichen es Ihnen die Kontrolle über die Situation zu behalten.
2. Bleiben Sie in Kontakt & tauschen Sie sich mit anderen aus:
Auch das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten, auch wenn sie derzeit nicht persönlicher Natur sein können, geben Halt und Unterstützung. Wir sind soziale Wesen und haben stets das Bedürfnis nach einem sozialen Miteinander. Um nicht zu vereinsamen und ins Grübeln zu verfallen, bleiben Sie in Kontakt mit Ihren Liebsten. Chatten Sie, (Video-)Telefonieren Sie, schreiben Sie sich Nachrichten oder vielleicht sogar einen Brief und verschicken ihn per Post. Oder sehen Sie die aktuelle Situation als Chance, vielleicht mit jenen Menschen wieder Kontakt aufzunehmen, mit denen Sie nun länger keinen Kontakt hatten. Ich bin mir sicher, der/die eine oder andere wird überrascht und erfreut darüber sein. Das gilt auch für Personen, mit denen man im selben Haushalt lebt.
3. Den Alltag strukturieren:
Behalten Sie Rituale bei! Stehen Sie zu gewohnten Zeiten auf, Frühstücken Sie wie Sie es sonst auch tun und halten Sie an Ihren Alltagsroutinen fest wie Sie es bisher getan haben. Dadurch können Sie ein Stückchen Normalität in dieser ungewohnten Zeit beibehalten und selbst mitsteuern wie Ihr Tag verläuft. Setzen Sie sich Ziele für den Tag und für die Woche und planen Sie so gut wie mögliche fixe Zeitfenster dafür ein. Das hilft nicht nur dabei die Kontrolle zu behalten, sondern auch Erfolgserlebnisse zu verzeichnen und geschaffte Aktivitäten abzuhaken. Wir streben stetig nach Sinn in dem was wir tun und können somit unseren Tätigkeiten wieder Bedeutung geben und stolz sein. Denn genau das ist es, was uns sonst durch unsere Arbeit, Ausbildung oder andere Gewohnheiten gegeben wird.
4. Immunsystem stärken:
Bleiben Sie physisch und psychisch gesund und widerstandsfähig! Da gehört es nicht nur dazu unser Sozialleben aufrecht zu halten, sondern auch für eine ausgewogene, vitaminreiche Ernährung und Bewegung zu sorgen. Essen Sie komplexe Kohlenhydrate in Form von Vollkornprodukten, nehmen Sie ausreichend Gemüse zu sich und trinken Sie genügend Wasser! Und bewegen Sie sich, am besten an der frischen Luft, alleine oder mit Personen aus dem gemeinsamen Haushalt, natürlich immer den gebotenen Sicherheitsabstand einhaltend – und natürlich nur an Orten, an denen dies möglich ist. Darüber hinaus sollten wir bewusst dafür sorgen unser Stresslevel zu reduzieren, denn gerade ein chronisch erhöhter Cortisol-Spiegel (Cortisol = das Stresshormon unseres Körpers) führt zur Schwächung unseres Immunsystems. Psyche und Körper sind untrennbar mit einander verbunden, geben Sie daher auf beides gut acht und stärken Sie es.
5. Entspannen Sie sich:
Anspannung und Entspannung können nicht gleichzeitig auftreten! Wenn wir ängstlich und angespannt sind, ist in unserem vegetativen Nervensystem der Sympathikus aktiviert. Das heißt der Körper ist auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Aktivieren wir jedoch durch bewusste Entspannungsübungen den Gegenspieler des vegetativen Nervensystems, also den Parasympathikus, können wir Anspannung, Nervosität und Ängste abbauen und Entspannung erleben. Daher führen Sie bewusst Entspannungsübungen aus oder Meditieren Sie. Besonders geeignet dafür ist die Progressive Muskelrelaxation von Jacobson, da sie leicht in den Alltag integrierbar ist. Auch mit Anleitungen aus dem autogenen Training und Muskelentspannungsübungen können Sie sich nachhaltig erholen.
6. Lachen – die beste Medizin:
Lachen ist bekanntlich die beste Medizin! Und auch ein besonders hilfreiches und starkes Mittel gegen Unruhe und Hilflosigkeit. Lachen und Freude sorgen für Erleichterung und bringen ein wenig Leichtigkeit in eine Zeit die sich sonst vielleicht doch sehr schwer anfühlen kann. Und, holen Sie sich frühzeitig Hilfe, noch bevor Sie ihr Lachen verloren haben.
Denken Sie stets daran: die Situation wird auch wieder vorübergehen und Sie werden wieder ihrem geregelten Alltag nachgehen können! Gleichzeitig seien Sie sich dessen bewusst, dass Sie mit Ihrem verantwortungsvollen Verhalten einen sehr wichtigen Beitrag leisten, damit die aktuelle Situation für uns alle nicht nur weniger lange dauern wird, sondern auch jene Personen geschützt werden, für die ein erhöhtes Erkrankungsrisiko besteht. Und in der Zwischenzeit machen wir das Beste daraus.